Chronische Nervenschmerzen (Neuropathien) sind für viele Menschen eine erhebliche Belastung. Herkömmliche Schmerzmittel wie Opioide oder Antikonvulsiva helfen nicht immer oder verursachen erhebliche Nebenwirkungen. Seit einigen Jahren rückt medizinisches Cannabis zunehmend in den Fokus der Schmerztherapie. Doch wie wirksam ist es tatsächlich? Welche Formen gibt es, und welche Risiken bestehen? Dieser Artikel gibt Ihnen einen Überblick …
Chronische Nervenschmerzen (Neuropathien) sind für viele Menschen eine erhebliche Belastung. Herkömmliche Schmerzmittel wie Opioide oder Antikonvulsiva helfen nicht immer oder verursachen erhebliche Nebenwirkungen. Seit einigen Jahren rückt medizinisches Cannabis zunehmend in den Fokus der Schmerztherapie. Doch wie wirksam ist es tatsächlich? Welche Formen gibt es, und welche Risiken bestehen? Dieser Artikel gibt Ihnen einen Überblick über den aktuellen Stand der Wissenschaft. Wir beleuchten die verschiedenen Wirkstoffe, mögliche Anwendungsgebiete, potenzielle Nebenwirkungen und die aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen in Deutschland.
Wie wirkt Cannabis bei Nervenschmerzen?
Cannabis enthält mehr als 100 aktive Inhaltsstoffe, sogenannte Cannabinoide. Die wichtigsten sind:
- Tetrahydrocannabinol (THC): Wirkt psychoaktiv, beeinflusst die Schmerzempfindung und kann die Stimmung heben. Es bindet an CB1-Rezeptoren im Gehirn und Nervensystem, wodurch eine Veränderung der Schmerzverarbeitung erfolgt.
- Cannabidiol (CBD): Hat entzündungshemmende und entspannende Eigenschaften, ohne berauschende Effekte. CBD wirkt insbesondere an CB2-Rezeptoren, die in Immunzellen vorkommen und entzündungshemmende Prozesse regulieren können.
Beide Substanzen beeinflussen das sogenannte Endocannabinoid-System des Körpers. Es ist an der Regulierung von Schmerz, Entzündungen, Stress und Immunsystem beteiligt. Besonders bei Nervenschmerzen könnte diese Wirkung vielversprechend sein. Neuere Studien legen nahe, dass die Kombination aus THC und CBD in bestimmten Fällen effektiver sein kann als eine Monotherapie mit nur einer der Substanzen.
Formen von medizinischem Cannabis gegen Nervenschmerzen
Seit 2017 können Ärzte in Deutschland medizinisches Cannabis unter bestimmten Bedingungen verschreiben. Die wichtigsten Darreichungsformen sind:
1. Dronabinol (THC in Ölform)
Dronabinol ist ein synthetisch hergestelltes THC-Produkt, das individuell in Apotheken als Tropfen oder Kapseln zubereitet wird. Es wird oft bei älteren Patienten mit chronischen Schmerzen eingesetzt, da es Leber und Nieren weniger belastet als viele klassische Schmerzmittel. Besonders bei Patienten mit eingeschränkter Organfunktion oder Multimorbidität kann es eine sinnvolle Alternative zu herkömmlichen Analgetika sein.
2. Nabiximols (Mundspray)
Ein Spray, das THC und CBD in einer standardisierten Dosierung enthält. Es wird direkt auf die Mundschleimhaut aufgetragen und oft bei Multipler Sklerose oder schweren neuropathischen Schmerzen eingesetzt. Studien zeigen, dass es in manchen Fällen die Muskelsteifheit reduziert und die Schlafqualität verbessern kann.
3. Nabilon (Synthetisches THC in Kapseln)
Diese Variante wird meist bei therapieresistenten Schmerzen verwendet und kann in Einzelfällen verordnet werden. Es hat eine stärkere psychoaktive Wirkung als natürliches THC und wird daher mit besonderer Vorsicht eingesetzt. Nabilon findet auch Anwendung in der Behandlung von Chemotherapie-induzierter Übelkeit und Appetitlosigkeit.
4. Medizinische Cannabisblüten
Diese müssen mit einem Verdampfer inhaliert werden, um eine schnelle Wirkung zu erzielen. Sie werden besonders dann eingesetzt, wenn andere Darreichungsformen nicht den gewünschten Effekt haben. Die Dosierung ist hierbei schwieriger zu steuern als bei standardisierten Präparaten, weshalb eine engmaschige ärztliche Überwachung notwendig ist.
Wie wirksam ist Cannabis gegen Nervenschmerzen?
Studien zeigen, dass Cannabis besonders bei neuropathischen Schmerzen helfen kann. Eine große Metaanalyse ergab, dass Patienten eine leichte bis mittlere Schmerzlinderung verspürten. Die Wirksamkeit ist jedoch nicht bei allen Patienten gleich:
- 30-50 % der Patienten berichten von einer deutlichen Verbesserung ihrer Symptome.
- Mehr als jede dritte Behandlung wird jedoch wegen Nebenwirkungen abgebrochen.
- Laut Experten wirkt Cannabis am besten bei Nervenschmerzen, die nicht auf klassische Medikamente ansprechen.
Einige Schmerztherapeuten bleiben dennoch skeptisch, da Langzeitstudien fehlen und die individuelle Wirkung stark variiert. Die Dosierung muss oft durch langsames Einschleichen optimiert werden, um Nebenwirkungen zu minimieren und die optimale therapeutische Wirkung zu erzielen. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass die langfristige Anwendung das Risiko für psychische Nebenwirkungen erhöhen könnte.
Vorteile von medizinischem Cannabis
Trotz der Unsicherheiten gibt es einige klare Vorteile:
- Alternative für Patienten, die klassische Schmerzmittel nicht vertragen
- Kann Stimmung und Schlafqualität verbessern
- Schont Leber und Nieren im Vergleich zu anderen Schmerzmitteln
- Reduzierung von Spastiken, besonders bei Multipler Sklerose
- Individuell anpassbare Therapieoptionen durch verschiedene Darreichungsformen
Nebenwirkungen und Risiken
Wie jedes Medikament hat auch Cannabis Nebenwirkungen. Die häufigsten sind:
- Müdigkeit und Konzentrationsprobleme
- Mundtrockenheit und Schwindel
- Verstärkter Appetit
- Herzrasen und Blutdruckabfall
- Stimmungsschwankungen
Besonders Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder psychischen Vorerkrankungen sollten vorsichtig sein. Es gibt Hinweise, dass Cannabis Psychosen oder Depressionen verschlimmern kann. Zudem ist die Langzeitwirkung von medizinischem Cannabis auf das zentrale Nervensystem nicht abschließend erforscht. Eine mögliche Abhängigkeit bei langfristiger Anwendung wird ebenfalls diskutiert, insbesondere bei höheren THC-Dosen.
Ist medizinisches Cannabis die richtige Wahl für Sie?
Ob Cannabis als Schmerztherapie sinnvoll ist, hängt von vielen Faktoren ab. Es ist keine Erstlinien-Therapie, sondern kommt meist dann zum Einsatz, wenn herkömmliche Schmerzmittel nicht wirken. Ein offenes Gespräch mit Ihrem Arzt ist entscheidend, um Chancen und Risiken abzuwägen. Neben einer gründlichen Anamnese sollten auch mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten berücksichtigt werden.
Falls Sie unter chronischen Nervenschmerzen leiden und bereits verschiedene Behandlungen ausprobiert haben, kann Cannabis eine mögliche Option sein. Lassen Sie sich dazu von einem Schmerztherapeuten oder Neurologen beraten. Die Therapie sollte stets individuell angepasst werden und in regelmäßigen Abständen überprüft werden, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen.
Quellen
- Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.: „Cannabis in der Schmerztherapie“ (2024)
- Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): „Informationen zu Cannabis als Medizin“ (2024)
- Fachgesellschaft für Neurologie: „Neuropathische Schmerzen und Behandlungsoptionen“ (2023)
- Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: „Therapie chronischer Schmerzen“ (2023)
- Aktuelle Studien: „Wirksamkeit von Cannabinoiden bei neuropathischen Schmerzen“ (2024)